Ich bin Nina Metzner und Lüneburgerin. 1982 bin ich hier geboren und ich habe noch eine jüngere Schwester. Als ich früher im Kindergarten war, hat mein Vater schon angefangen, mit mir schreiben zu üben. Ich sollte dann immer das ABC in Schönschrift malen – auf spielerische Weise. Eingeschult worden bin ich dann in der Grundschule Anne-Frank-Schule in Kaltenmoor. Ich hatte schon früh Probleme mitzukommen und so kam es, dass ich im 2. Halbjahr der 1. Klasse aus dem Unterricht genommen wurde. Das passierte völlig unvorbereitet. Es kam damals eine Frau in unsere Klasse und holte mich einfach raus. Sie sagte zu mir Sachen wie: „Du bist jetzt mein Kind, du bist jetzt in meiner Klasse, du bist dumm.“ Ich war total geschockt und wusste nicht, was ich machen sollte. Es war eine Frau von der Johannes-Rabeler-Förderschule. Meine Eltern wussten davon nichts. Ihnen hatte niemand Bescheid gesagt. Als ich es dann meinem Vater erzählte, ist dieser richtig wütend geworden und hat einen Aufstand in der Schule gemacht und meine Umschulung verhindert.
Meine Klassenlehrerin hat sich daraufhin für mich eingesetzt und es wurde ein gesonderter Lehrplan für mich erarbeitet. Seitdem hat sich mein Vater intensiver um mich gekümmert und sich sogar morgens vor der Schule mit mir hingesetzt und gelernt. Ich habe immer zusätzlich Förderunterricht bekommen. Das alles hat ein wenig geholfen, aber in den Diktaten war ich immer noch die Schlechteste. Ich kam dann trotzdem in die Orientierungsstufe. Da wurde es dann aber auch für meinen Vater zu schwer, da er nicht über sehr viel Schulbildung verfügte und er konnte mir nicht mehr helfen. Ich hatte große Probleme mit meinem Skelettsystem und bekam viel Ergotherapie. Das war damals bei der Firma Flemich. Ich hatte Glück, dass Flemich auch eine Lerntherapiepraxis war und so konnten sie mir bei meinen Lese- und Schreibproblemen helfen. Die 5. und 6. Klasse in der Orientierungsstufe habe ich eigentlich ganz gut überstanden. Schlimm wurde es für mich, als ich ab der 7. Klasse auf die Hauptschule gekommen bin. Die Hänseleien wurden ganz extrem. Ich hatte damals mit einer Freundin ein Briefbuch, welches wir schon ziemlich lange führten. Sie wusste von meinen Lese- und Schreibproblemen und hat es dann in der ganzen Schule herumgezeigt. Das war ein Schock für mich. „Guck mal, die Schlampe kann nicht lesen und schreiben!“ war so die ständige Beleidigung. Oder sie gaben mir Spitznamen wie „Klobürste“, „Scheißhaufen“ oder „Fußpilz“. Ich konnte das damals nicht mehr aushalten, konnte auch nicht verstehen, warum ich immer gemobbt wurde und bin aus dem Grund sogar mehrmals vor Autos gesprungen, weil ich nicht mehr leben wollte. Ich habe dann aber zum Glück Freunde gefunden, die mir Mut gemacht haben und mir gezeigt haben, dass ich dafür in anderen Sachen umso besser bin. Ich habe meinen Eltern nichts davon erzählt und auch meine Schule hat nichts davon mitbekommen, was vor sich ging. Ich habe alles mit mir selbst ausgemacht. Die Hauptschule habe ich bis zur 9. Klasse fertiggemacht und den Hauptschulabschluss bestanden. Im Anschluss habe ich versucht den Realschulabschluss zu machen. Da ich die entsprechenden Noten nicht erreicht habe, wurde ich nicht zur Prüfung zugelassen. Aus diesem Grund bin ich dann für 1 Jahr auf die Hauswirtschaftsschule gegangen, weil ich noch schulpflichtig war. Danach habe ich eine Lehre zur Kosmetikerin anfangen und nach 2 Jahren erfolgreich beendet. Mir wurde zwar immer wieder gesagt, dass ich es nicht schaffen werde, aber das war mir egal – ich habe es trotzdem getan. Und es hat gleich beim 1. Anlauf geklappt. Es war sehr viel Arbeit für mich, aber ich wollte es unbedingt und ich habe mich richtig reingehängt. Dass ich Probleme beim Schreiben hatte, habe ich von Anfang an offen erzählt und ich habe auch Unterstützung von Seiten der Schule bekommen. Ich wollte noch weitermachen und Fußpflegerin werden, aber das konnte ich mir dann leider nicht leisten. Damals habe ich auch Zuflucht in der Musik gefunden. Besonders Klassik, Rock- und Countrymusik finde ich richtig gut.
Ich habe viele Bands gehört, die mir Trost gaben und auch angefangen, Trompete zu spielen. Die Kirche hatte ein tolles Angebot, wo ich mitspielen und sogar mitsingen konnte. Dort habe ich viele tolle Menschen kennengelernt. Es war nicht wichtig, was man konnte oder was nicht. Man konnte sein, wie man ist. Dort waren auch einige Gymnasiast*innen, von denen ich mir viel abgeschaut habe, da sie mich sehr beeindruckt haben. Ich habe dort viel Selbstsicherheit bekommen, mit meinem Problem umzugehen. Als ich fertig war mit der Ausbildung, habe ich bei verschiedenen Stellen gearbeitet, aber so richtig hat es als Kosmetikerin nicht geklappt. Ich habe dann noch eine kurze Zeit bei der Firma Henning und bei Budnikowsky in Hamburg St. Pauli, gearbeitet, bin dann aber leider arbeitslos geworden. Ich habe, seit ich arbeite, nie großartig erzählt, dass ich hauptsächlich Schreibprobleme habe – musste ich auch nicht. Es ging auch so.
Einen gesetzlichen Vertreter und eine Begleitperson von der AWO habe ich nie gebraucht – bei schwierigeren Sachen hatte ich dann meine Freunde, die mir geholfen haben, wenn ich sie darum gebeten habe. Vom Arbeitsamt habe ich dann die Auflage bekommen, einen Grundkurs bei der VHS zu machen, wovor ich anfangs sehr große Angst hatte. Ich wusste nicht, was mich erwartet. Doch das war schnell vorüber, denn ich wurde so herzlich hier aufgenommen und die Kurse machten so viel Spaß, dass ich über die Jahre immer besser wurde. Mittlerweile arbeite ich für die Stadt Lüneburg in einem Kindergarten, weshalb ich zur Zeit keinen Kurs belege. Auch zu den Treffen von WORTBLIND kann ich nicht so oft kommen, was schade ist, aber die Arbeit im Kindergarten und der Kontakt mit den Kindern erfüllt mich ungemein. Hier kann ich sein, wie ich bin. Ich muss mich nicht verstellen. Ich bin irgendwie angekommen.